Die ehema­lige Synagoge von St. Pölten

von | 30. Septem­ber 2024 | Im Museum, In der Stadt, Nieder­ös­ter­reich, Öster­reich

Da der als Bethaus herge­rich­tete Fabrik-Raum der Gasser-Fabrik an der Schul­pro­me­nade (heute Dr. Karl Renner-Prome­nade) in St. Pölten zu klein wurde, sollte eine neue Synagoge errich­tet werden. Zu diesem Zweck wurde 1907 ein Tempel­bau­ver­ein gegrün­det. In nur etwas mehr als einem Jahr (Juni 1912 bis August 1913) wurde die neue Synagoge in St. Pölten gebaut. Die feier­li­che Eröff­nung fand am 17. August 1913 statt. Das war der Vorabend des Geburts­tags von Kaiser Franz Josef. Aus diesem Anlass wurde von Samuel und Berta Mandl ein Bild des Kaisers gestif­tet, das lange als verschol­len galt. Im Jahr 2000 wurde es zufäl­lig im Stadt­mu­seum St. Pölten entdeckt und an der Widmung der Fam. Mandl identi­fi­ziert. Heute steht es im Haupt­raum der ehema­li­gen Synagoge St. Pölten.

Das Innere der Synagoge wurde reich verziert und mit wunder­schö­nen Wandma­le­reien aus Leimfarbe ausge­stat­tet. Diese Wandge­stal­tung war und ist alles andere als typisch jüdisch, sie konnte quasi „aus dem Katalog“ zusam­men­ge­stellt werden. Ähnli­che Wandma­le­reien finden sich in Ungarn in einem Gewerk­schafts­haus (ich glaube, es war in Budapest), aber auch in Bürger­häu­sern in Deutsch­land.

Die jüdische Gemeinde in St. Pölten war weder reich noch sehr groß. Trotz­dem setzte sie mit dem Bau dieser prunk­vol­len Synagoge ein State­ment, nämlich eines, bleiben zu wollen. Diese Zeit, die ihnen und der Synagoge blieb, war nicht sehr lange bemes­sen. 1938 wurde die Synagoge im Novem­ber­pro­grom geplün­dert und zerstört. Bis 1945 wurde das Gebäude von der SA und der Stadt St. Pölten, u.a. als Lager für russi­sche Zwangs­ar­bei­ter, genutzt. 1945 verschlim­mer­ten Bomben­an­griffe den Zustand der Bausub­stanz weiter. 1945–1947 war es in Nutzung durch die Rote Armee, die es an die Stadt St. Pölten zurück­stellte. Erst 1954 erfolgte die Rückstel­lung an die IKG Wien (da es keine IKG St. Pölten mehr gab). Das Gebäude war nur mehr eine Ruine, die Fenster verna­gelt, das Dach undicht.

Der Abriss des Gebäu­des stand kurz bevor, als die Meinung in der Stadt umschlug. So wurde 1980–84 die ehema­lige Synagoge St. Pölten restau­riert und 2022–24 neuer­lich renoviert und adaptiert. Bei der Restau­rie­rung 1980–84 wurden unter anderem die Wandma­le­reien anhand der ursprüng­li­chen Schablo­nen neu erstellt.

Der Seder­tel­ler der Familie Fantl-Brumlik

Ich möchte von den Bildern eines beson­ders hervor­he­ben. Den Seder­tel­ler der Familie Fantl-Brumlik, der in der 2024er Sonder­aus­stel­lung zu sehen ist. Das Seder­mahl wird am Abend vor dem Passah­fest gereicht und gedenkt dem Auszug aus Ägypten. Dabei werden auf den Seder­tel­ler sechs symbo­li­sche Speisen gereicht.

Der Seder­tel­ler stammt aus Karls­bad aus dem Atelier des jüdischen Künst­lers Paul Küchler. Dieser reagierte auf die sich ändernde Klien­tel des Kuror­tes, von der Aristo­kra­tie zum Bürger­tum, an dem wohlha­bende jüdische Bürger einen bedeu­ten­den Anteil hatten. Er gestal­tete die Austern­tel­ler, die ein halbes Dutzend Austern aufneh­men konnten, in rituelle Teller um. Dadurch konnte eine neue Kunden­schicht angespro­chen werden. 

Sowohl die Familie Fantl-Brumlik als auch die Familie Küchler wurden 1942 depor­tiert und sind — bis auf eine Person — nicht mehr zurück­ge­kehrt. Der Teller wurde mit anderem Besitz und Dokumen­ten vom Dienst­mäd­chen der Familie  Fantl-Brumlik aufbe­wahrt.

Details zum Teller sind im Special „Strahl­kraft“ der Zeitschrift morgen (Ausgabe 3/2024) nachzu­le­sen. https://www.morgen.at/orte-der-erinnerung/strahlkraft

Ich bedanke mich bei Dr. Martha Keil für die inter­es­san­ten Einbli­cke, die es bei der Führung am Tag des Denkmals gab.

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