Die ehemalige Synagoge von St. Pölten
Da der als Bethaus hergerichtete Fabrik-Raum der Gasser-Fabrik an der Schulpromenade (heute Dr. Karl Renner-Promenade) in St. Pölten zu klein wurde, sollte eine neue Synagoge errichtet werden. Zu diesem Zweck wurde 1907 ein Tempelbauverein gegründet. In nur etwas mehr als einem Jahr (Juni 1912 bis August 1913) wurde die neue Synagoge in St. Pölten gebaut. Die feierliche Eröffnung fand am 17. August 1913 statt. Das war der Vorabend des Geburtstags von Kaiser Franz Josef. Aus diesem Anlass wurde von Samuel und Berta Mandl ein Bild des Kaisers gestiftet, das lange als verschollen galt. Im Jahr 2000 wurde es zufällig im Stadtmuseum St. Pölten entdeckt und an der Widmung der Fam. Mandl identifiziert. Heute steht es im Hauptraum der ehemaligen Synagoge St. Pölten.
Das Innere der Synagoge wurde reich verziert und mit wunderschönen Wandmalereien aus Leimfarbe ausgestattet. Diese Wandgestaltung war und ist alles andere als typisch jüdisch, sie konnte quasi „aus dem Katalog“ zusammengestellt werden. Ähnliche Wandmalereien finden sich in Ungarn in einem Gewerkschaftshaus (ich glaube, es war in Budapest), aber auch in Bürgerhäusern in Deutschland.
Die jüdische Gemeinde in St. Pölten war weder reich noch sehr groß. Trotzdem setzte sie mit dem Bau dieser prunkvollen Synagoge ein Statement, nämlich eines, bleiben zu wollen. Diese Zeit, die ihnen und der Synagoge blieb, war nicht sehr lange bemessen. 1938 wurde die Synagoge im Novemberprogrom geplündert und zerstört. Bis 1945 wurde das Gebäude von der SA und der Stadt St. Pölten, u.a. als Lager für russische Zwangsarbeiter, genutzt. 1945 verschlimmerten Bombenangriffe den Zustand der Bausubstanz weiter. 1945–1947 war es in Nutzung durch die Rote Armee, die es an die Stadt St. Pölten zurückstellte. Erst 1954 erfolgte die Rückstellung an die IKG Wien (da es keine IKG St. Pölten mehr gab). Das Gebäude war nur mehr eine Ruine, die Fenster vernagelt, das Dach undicht.
Der Abriss des Gebäudes stand kurz bevor, als die Meinung in der Stadt umschlug. So wurde 1980–84 die ehemalige Synagoge St. Pölten restauriert und 2022–24 neuerlich renoviert und adaptiert. Bei der Restaurierung 1980–84 wurden unter anderem die Wandmalereien anhand der ursprünglichen Schablonen neu erstellt.
Der Sederteller der Familie Fantl-Brumlik
Ich möchte von den Bildern eines besonders hervorheben. Den Sederteller der Familie Fantl-Brumlik, der in der 2024er Sonderausstellung zu sehen ist. Das Sedermahl wird am Abend vor dem Passahfest gereicht und gedenkt dem Auszug aus Ägypten. Dabei werden auf den Sederteller sechs symbolische Speisen gereicht.
Der Sederteller stammt aus Karlsbad aus dem Atelier des jüdischen Künstlers Paul Küchler. Dieser reagierte auf die sich ändernde Klientel des Kurortes, von der Aristokratie zum Bürgertum, an dem wohlhabende jüdische Bürger einen bedeutenden Anteil hatten. Er gestaltete die Austernteller, die ein halbes Dutzend Austern aufnehmen konnten, in rituelle Teller um. Dadurch konnte eine neue Kundenschicht angesprochen werden.
Sowohl die Familie Fantl-Brumlik als auch die Familie Küchler wurden 1942 deportiert und sind — bis auf eine Person — nicht mehr zurückgekehrt. Der Teller wurde mit anderem Besitz und Dokumenten vom Dienstmädchen der Familie Fantl-Brumlik aufbewahrt.
Details zum Teller sind im Special „Strahlkraft“ der Zeitschrift morgen (Ausgabe 3/2024) nachzulesen. https://www.morgen.at/orte-der-erinnerung/strahlkraft
Ich bedanke mich bei Dr. Martha Keil für die interessanten Einblicke, die es bei der Führung am Tag des Denkmals gab.
Weiterführende Informationen
- Ehemalige Synagoge: https://www.ehemalige-synagoge.at/de
- Geschichte der jüdischen Gemeinde: http://www.juden-in-st-poelten.at/de/