St. Pölten und das Kraut­hap­pel

von | 24. Juli 2024 | Im Freien, Im Museum, In der Stadt, Nieder­ös­ter­reich

Der Manfred Hartl — seines Zeichens Fremden­füh­rer in St. Pölten — ist schuld, dass mich dieses Thema nicht losge­las­sen hat. Es geschah heuer am Tag der Fremdenführer:innen Anfang März in der Kremser Gasse Nr. 41 in St. Pölten. In der Zwischen­zeit habe ich ein paar Recher­chen angestellt und ein paar nette Details heraus­ge­fun­den. Keller­funde nach dem Hochwas­ser letztes Wochen­ende (Sept. 24) haben noch zusätz­li­che Infos und damit Ergän­zun­gen gebracht. Ihr habt es eh schon erraten, es geht um das Stöhr-Haus, auch als Olbrich-Haus bekannt.

Dr. Hermann Stöhr (1862–1949) war Chirurg und der 1. Prima­rius der Chirur­gie des St. Pöltner Kranken­hau­ses (KH). 1903 bis 1926 war er auch dessen Direk­tor. Das KH wurde 1856 gegrün­det und in der Schmid­gasse 1 unter­ge­bracht. 1895 übersie­delte es in einen Neubau im Norden der Stadt mit 150 Betten, die in Pavil­lons unter­bracht waren. Zum Vergleich: Das heutige UK St. Pölten verfügt über ca. 1150 Betten.

Besag­ter Primar Stöhr lies sich kurz vor der Jahrhun­dert­wende, genau gesagt 1899, in der Kremser Gasse ein Wohn- und Geschäfts­haus errich­ten. Zu dieser Zeit war Jugend­stil angesagt, ein passen­der Archi­tekt wurde gesucht. Ernst Stöhr (1860–1917), der Bruder des Bauherrn, war Künst­ler und Gründungs­mit­glied der Wiener Seces­sion. Dadurch hatte er Kontakt zu Künst­lern wie Gustav Klimt, Otto Wagner und auch dessen Mitar­bei­ter Joseph Maria Olbrich. Olbrich hat 1898 das Gebäude der Wiener Seces­sion — in Wien liebe­voll das Kraut­hap­pel genannt — entwor­fen. Elemente wie zwei Blatt­ku­geln rechts und links auf einer Brüstung erinnern an die Kuppel der Wiener Seces­sion. Vermut­lich hat Ernst Stöhr den Kontakt zwischen Olbrich und seinem Bruder herge­stellt. Ernst selbst hat an der künst­le­ri­schen Gestal­tung der Fassade führend mitge­ar­bei­tet. Dabei beson­ders hervor­zu­he­ben ist die Frauen­fi­gur mit Medizin­schale und Schlange. Ein Mörtel­schnitt­re­lief, als Ausdruck des Berufs des Hausbe­sit­zers, die Medizin.

Das Stöhr-Haus rief nach seiner Fertig­stel­lung geteilte Reaktio­nen hervor und wurde vielfach als das hässlichste Haus St. Pöltens gesehen.

Wen das Thema näher inter­es­siert, ich habe folgende Quellen zu Rate gezogen:

  • Öster­rei­chi­sches Städte­buch, Muster­bei­spiel St. Pölten
  • Nieder­ös­ter­rei­chi­scher Kultur­füh­rer St. Pölten
  • Werden und Wesen der Stadt St. Pölten
  • Öster­rei­chi­sche Kunst­to­po­gra­phie St. Pölten
  • Katalog der Gedächt­nis­aus­stel­lung Ernst Stöhr (1962 in St. Pölten)
  • Websei­ten der Wiener Seces­sion, Wien Wiki, Wikipe­dia